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Beitrag vom 19.04.2008
Betreff: "Das Ende der Massenarbeitslosigkeit"
Von: Peter Schwenker
E-mail: peter-schwenker@web.de


Sehr geehrter Herr Flassbeck,

ich habe Ihr Buch "Das Ende der Massenarbeitslosigkeit" gründlich gelesen und stimme den Positionen grundsätzlich zu. Trotzdem sind noch einige Fragen offen geblieben.

1. Eine Lohnpolitik, die sich nicht an der Produktivität orientiert und stagnierende oder sinkende Reallöhne bedeutet, muss scheitern, weil die Voraussetzung, dass die Nachfrage unverändert bleibt, nicht gegeben ist. Was wäre nun, wenn dies doch gegeben wäre, z.B. indem die privaten Haushalte ihre Sparquote zurückführen? Ginge dann das Kapitalangebot zurück und die Zinsen stiegen, wie ich es letztens gelesen habe? Dann könnte doch die Notenbank den Leitzins wieder zurücknehmen. Die Voraussetzung der neoklassischen Annahme, durch die nach der Lohnsenkung bessere Situation der Unternehmen im Wettbwerb könnten positive Effekte erzielt werden, ist zwar weiterhin nicht gegeben (auch wenn die Sparquote ausreichend sinkt). Aber die Gewinnsituation der Unternehmen würde sich doch verbessern, bei gleicher Nachfrage im Inland (und erhöhter Nachfrage aus dem Ausland). Käme es bei einer solchen Kompensation des Nachfrageeffektes der Lohnsenkung zu einem spürbaren Beschäftigungsaufbau, weil die Unternehmen mehr investieren würden?

2. Eine wichtige Kennziffer in der volkswirtschaftlichen Betrachtung (Verteilungsseite) ist die Lohn- und Gewinnquote (Unternehmens- und Vermögenseinkommen). Kann man eine angemessene Lohn- oder Gewinnquote festlegen bzw. sagen, dass von einer hohen Gewinnquote positive oder negative Effekte auf das Wachstum ausgehen? Es ist unbestreitbar, dass die in den letzten Jahren stattgefundene Erhöhung kontraproduktiv war, weil gleichzeitig die Investitionen zurückgegangen sind. Aber wenn man einmal eine hohe Gewinnquote erreicht hat, ist es besser von diesem Ausgangsniveau zu starten als von dem einer niedrigeren?

3. Diese Frage läuft in die ähnliche Richtung: Die kurzfristige Konjunktur macht das langfristige Wachstum, richtig. Insofern führt auch ein plötzlich eintretendes Angstsparen der Bevölkerung, wie es zu beobachten ist, zu keinen positiven Effekten auf das wirtschaftliche Wachstum. Wenn alle mehr sparen wollen, wird in der Summe nicht mehr gespart. Jedoch ist es ja nicht so, dass die amerikanischen Haushalte dieselbe Summe sparen würden wie die deutsche, weil durch die niedrigere Sparquote das Einkommen höher wäre (der vorletzte Satz gilt also uneingeschränkt nur für alle Akteure zusammen). Eine Erhöhung der privaten Sparquote kann langfristig gesehen auch empirisch zu einem absoluten Mehr an gespartem Geld führen. Wie ist in diesem Sinne eine hohe bzw. eine niedrige private Sparquote zu beurteilen? In China soll es 40 % geben, und die Wirtschaft kommt damit hervorragend klar. In den USA das genaue Gegenteil, und man ist damit trotzdem gut gefahren. Dort, wo die private Sparquote niedrig ist, ist die Sparquote der Unternehmen hoch. Dann handelte es sich also nur um eine Verteilungsfrage. Da Eigenkapital "günstiger" ist als Fremdkapital und da letzteres schwerer zu beschaffen ist, ist dann eine niedrige private Sparquote nur aus diesem Grund besser?

4. Peter Bofinger schreibt, hohe Unternehmensteuern seien gleichzusetzen mit hohen Realzinsen. Hieße das nicht, man könnte die investitionsdämpfende Wirkung der Unternehmensteuern "einfach" mit einem niedrigeren Zinsniveau ausgleichen? Die Frage klingt naiv, denn dann wären ja alle Finanzierungsprobleme des Staates auf einen Schlag gelöst: Erhöhung der Unternehmensteuern auf 50 % und mehr und im Gegenzug signifikante Absenkung des langfristigen Zinssatzes. Trotzdem sind hoher Kreditzins und Unternehmensteuern ja beides angebotspolitische Hürden, die beide gleichermaßen Investitionskosten darstellen, und insofern ist ja ein Zusammenhang da. Wobei Zinsaufwendungen auch steuerlich geltend gemacht werden können (sieht man von der jüngst eingeführten Zinsschranke ab) und insofern hohe Unternehmensteuern erst anfallen, wenn nach Abzug der Zinszahlungen ein Gewinn verbleibt.

5. Wenn alle Sichteinlagen und die große Menge an Bargeld in kapitalangeboterhöhende (wie festverzinsliche) Anlagen überführt würden, ergäbe sich daraus ein signifikanter zinssenkender und wachstumsfördernder Effekt? Diese Frage der Liquiditätspräferenz, die eine der Grundlagen der Theorie von Keynes ist, wird heute kaum diskutiert. Das scheint mir auch insofern berechtigt, als dass die EZB mit ihren ständigen Fazilitäten ihre Geldpolitik immer durchsetzen kann.

6. In den letzten Jahren ist die Exportquote der deutschen Wirtschaft und in ähnlichem Umfang der Außenbeitrag immer weiter gestiegen. Gibt es ein Maß dieser Exportquote, ab dem sich die von Ihnen kritisierte Wirtschaftspolitik der Lohnzurückhaltung und weiterer angebotspolitischer Maßnahmen ungefähr lohnen würde? Sie sprechen selbst die Tatsache an, dass kleinere Länder damit durchaus Erfolg haben könnten. Müssten wir also den Weg einfach so lange weiter gehen, bis unsere Wirtschaft vollständig vom Export abhängt? Natürlich ist klar, dass es langfristig nicht vorteilhaft wäre, sich immer weiter von der Weltkonjunktur abhängig zu machen und wir auf Kosten anderer europäischer Nachbarstaaten leben würden. Aber diese Frage nur aus prinzipieller Hinsicht.

7. Sie befürworten einen flächendeckenden Mindestlohn? Wie sollte Ihrer Meinung die Höhe des Lohns ermittelt werden? Eigentlich müsste sich dieser doch an den Knappheitsverhältnissen orientieren, wie Sie in ihrem Buch in Bezug auf die allgemeinde Lohnfindung darlegen. Im Falle hoher Arbeitslosigkeit der Gerinqualifizierten scheint dies jedoch fragwürdig. Die Knappheitsverhältnisse spielen natürlich immer eine Rolle, aber wie hoch sollte diese ausfallen? Und als letztes in diesem Zusammenhang noch eine Frage bezüglich der Produktivität des einzelnen Arbeitnehmers, die man nicht ermitteln kann. Sie schreiben, dass man die Produktivität auch der Mitarbeiter in den Dienstleistungsbereichen nicht bestimmen kann, da letztendlich alle Mitarbeiter zu einem Endprodukt beitragen und die Verteilung der Erlöse auf die Mitarbeiter den Knappheitsverhältnissen überlassen wird. Sie räumen jedoch ein, dass ein Haarschnitt beispielsweise kein Vorleistung für die Industrie darstellen würde und insofern ein Endprodukt ist (wie die Milch im Regal). Hier müsste doch tatsächlich ein sinkender Lohn für Friseure (jetzt mal ungeachtet der Tatsache, dass dieser wohl kaum noch zu senken ist) direkt negative Effekte auf den Preis für einen Haarschnitt etc. haben und dieser dann vermehrt nachgefragt werden und folglich die Beschäftigung in diesem Segment des Arbeitsmarktes steigen. Für das Gastgewerbe und de Gebäudereiniger (in Privathaushalten) gilt ähnliches. Sinkende reale Einkommensverluste für Niedriglohnbezieher könnten durch eine negative Einkommensteuer vermieden werden und insofern ein Nachfrageausfall vermieden werden. Die dann notwendige Erhöhung anderer Steuern wie des Spitzensatzes bei der Einkommensteuer bedeutete einen leichten Nachfrageausfall, jedoch würde sich dieser nicht einseitig auf den Niedriglohnbereich beziehen. Unter dem Strich wäre das natürlich eine Subventionierung des Niedriglohnbereichs, aber gewisse positive Effekte sollte das doch haben können. Auch diese Frage unabhängig davon, ob man bei gestärkter Binnennachfrage ohne eine solche Maßnahme auskommen könnte.

Viele Grüße
Peter Schwenker